Die Seele leidet und schmerzt.
Jeder Tag ist eine Herausforderung und irgendwie wird die seelische Belastung einfach zu viel.
Aber was tun?
Und dann gibt es dominante Gedanken im Kopf, die eine Hürde vor dem Aufsuchen einer Psychotherapie darstellen.
Da sie sich wiederholen, werden sie mit der Zeit zu Überzeugungen, zu sogenannten Glaubenssätzen.
Im Laufe der Zeit durfte ich Dank der Offenheit meiner Klientinnen und Klienten einige davon kennenlernen.
Ich stelle sie hier in diesem Artikel vor.
○ Ich bin schwach, wenn ich zur Psychotherapie gehe
Woher kann solch eine Überzeugung stammen?
Vielleicht durch die Familie. Da wurde beim Familientreffen über einen Onkel gespöttelt, der sich ja nur vor der Feier drücken würde, weil er angeblich Depressionen hätte. Aber er wäre ja schon immer ein Jammerlappen gewesen.
Oder Kollegen beschweren sich über eine Kollegin, die wegen Bournout seit einigen Wochen ausfällt. Sie würde ja nur „so tun“ und überhaupt suche sie nur den bequemsten Weg.
Solche Aussagen haben jedoch nichts mit der Wahrheit hinter einer psychischen Erkrankung zu tun. Oft sind sie Ausdruck eine persönlichen Unbehagens, die eigene Komfortzone verlassen zu müssen.
Es ist leichter abzustempeln, als sich selbst auf den Weg zu machen und dem Onkel Unterstützung anzubieten oder die Arbeit der Kollegin untereinander zu verteilen und ihr eine Grußkarte zu senden.
Wäre eine psychische Notlage nur eine persönliche „Schwäche“, dann gäbe es keine Psychiatrie, keine Seelenheilkunde und Psychotherapie.
Was die WHO über psychische Gesundheit sagt oder: Du bist nicht allein
Die WHO definiert psychische Gesundheit folgendermaßen:
Psychische Gesundheit ist ein Zustand des Wohlbefindens, in
dem eine Person ihre Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen
Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und einen Beitrag
zu ihrer Gemeinschaft leisten kann.
WHO
Weiter wird definiert, was psychische Störungen sind:
Psychische Störungen stellen Störungen der psychischen Gesundheit einer Person dar, die
oft durch eine Kombination von belastenden Gedanken, Emotionen, Verhaltensweisen und Beziehungen
zu anderen gekennzeichnet sind.
Beispiele für psychische Störungen sind Depressionen, Angststörungen, Verhaltensstörungen, bipolare
Störungen und Psychosen.
WHO
Die WHO möchte in Bezug der Häufigkeit des Vorkommens (Prävalenz) psychischer Erkrankungen sensibilisieren und nennt dazu folgende Zahlen:
Die geschätzte Prävalenz psychischer Störungen in der Europäischen Region der WHO im Jahr 2015 betrug 110
Millionen, entsprechend 12% ihrer Gesamtbevölkerung. Die Einbeziehung durch Substanzmissbrauch bedingter
Störungen erhöht diese Zahl um 27 Millionen (auf 15%), während die Einbeziehung neurologischer Störungen
wie Demenz, Epilepsie und Kopfschmerzsyndromen die Gesamtzahl um mehr als 300 Millionen auf 50% erhöht.
who
Indem Du den Weg der Hilfe durch Psychotherapie wählst, bist Du mutig.
Du bekennst Dich zu Deinem Problem, zu Deiner momentanen Hilflosigkeit
und Du bekennst Dich vor allem zu Dir.
Und: Du bist nicht alleine. In diesem Augenblick gibt es überall auf der Welt Menschen, die sich genau wie Du oder ähnlich fühlen.
Vielleicht wohnen diese in der gleichen Straße wie Du, vielleicht in Australien oder in Indonesien.
Du hast zudem ein grundständiges Recht auf Hilfe. Denn vollständige Gesundheit bedeutet körperliche und seelische Gesundheit.
○ Psychotherapie ist langweilig
„Ich stelle mir das so vor, dass ich beim Therapeuten auf einer Couch liege und irgendwas erzählen soll und er sagt nichts. Dann gehe ich wieder heim und das war´s. Jedes Mal das gleiche.“
So ähnlich habe ich diese Worte einst in der Straßenbahn gehört.
Klingt definitv nicht gerade prickelnd.
Erkundige Dich vor Deiner Behandlung in der jeweiligen Praxis, wie die Behandler vorgehen und mache Dir vorab eine kleine Liste über die Themen, zu denen Du Fragen hast oder besuche die Website der Praxis sofern vorhanden.
Sobald Du auf Deine Therapeutin oder Deinen Therapeuten triffst, teile gerne Deine Bedenken mit.
„Mein Schwager hat mir erzählt, dass es in der Therapie langweilig war.“
Frage doch genau nach, was so langweilig war.
Bedenke: was für den einen langweilig ist, ist für den anderen spannend.
Zudem bedeutet eine einzelne Meinung nicht, dass diese allgemeingültig ist. Sie ist eine einzelne Gedankenstruktur im Meer von Milliarden gleicher oder ähnlicher Gedanken.
Moderne Psychotherapeuten führen Dich gezielt durch die Sitzung, fordern Dich im Rahmen Deiner Möglichkeiten und benötigen auch Dein Feedback.
Je besser die Kommunikation mit Deinen Behandlern, umso besser die Erkenntnis auf beiden Seiten.
Therapie ist eine Zusammenarbeit, die auf Gegenseitigkeit beruht.
○ Ich wäre meiner Therapeutin oder meinem Therapeut ausgeliefert
Kennst Du die TV-Serie Babylon Berlin? (Falls nicht, sehr empfehlenswert. Noch besser sind die Original-Bücher, die als Vorlage dienten)
Sie spielt in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts.
Da kam es zu einer Szene, in der der Therapeut (übrigens ein Hypnosetherapeut) den Patienten überrumpelte und ihn „zur Quelle seiner Angst“ führte.
Total an den Haaren herbeigezogen.
Es ging ja schließlich den Filmemachern um einen gruseligen Effekt.
Die Realität ist eine andere.
Psychotherapeutinnen und -therapeuten haben sich an ethische Prinzipien zu halten.
Diese lauten nach Beauchamp und Childress :
Respekt für die Autonomie des Menschen, das Gebot der Schadensvermeidung,
die Verpflichtung zur Hilfe und das Prinzip der Gerechtigkeit.
In meiner therapeutischen Welt geht es darum, Klientinnen und Klienten in die Selbstwirksamkeit zu führen.
Sie sollen meine Hilfe eines Tages nicht mehr benötigen.
Ich betrachte die Zusammenarbeit folgendermaßen:
die Klientinnen und Klienten sind die Expertinnen und Experten für ihr Leid bzw. Problem,
ich bin die Expertin für das Finden der Lösung.
Nur gemeinsam und auf Augenhöhe kann der Entwicklungsprozess stattfinden.
Klientinnen und Klienten haben das Recht, jederzeit Fragen zu stellen und Antworten zu erhalten.
Es gab einst eine Ära der „Halbgötter in Weiß“, die durch Filme über die vermeintliche Allwissenheit und Erhabenheit diese auf ein Podest stellten. Man denke nur an Filme über den berühmten Prof. Sauerbruch und an Arztserien wie beispielsweise die Schwarzwaldklinik.
Daraus erfolgte leicht die Übertragung dieser Verehrung von somatischen Medizinern auch psychotherapeutisch arbeitenden Menschen gegenüber.
Doch das sind reine Mythen. Eben nur Film- oder Romanmaterial.
Egal, ob Filme Behandlerinnen und Behandler glorifizieren oder stigmatisieren:
deren Inhalt hat definitv nichts mit der täglichen Wirklichkeit zu tun.
○ Sobald ich mich einmal in Therapie begebe, bin ich doch dann für meine Umwelt für alle Zeiten der oder die Verrückte
Zweifelsohne besteht das Problem von Stigmatisierung und Diskriminierung von psychischen Erkrankungen weiterhin.
Doch es wird besser.
Der Weg verläuft langsam, aber er läuft.
Gezielte Aufklärung und regelmäßige Reports der Krankenkassen tragen zur Entlastung bei.
Auch in den sozialen Medien wird offen über psychische Problematiken gesprochen.
Solltest Du obigen Gedanken haben, ohne jemals aus den Mündern Deiner Umgebung etwas Negatives über Psychotherapie gehört zu haben, dann könnte es sinnvoll sein, sich diesen einmal vorzuknöpfen.
Frage Dich, woher Du wohl den Gedanken hast. Um welche Quellen handelt es sich? Aus welchem Grund hast Du ihnen geglaubt?
Überlege, ob Du jemanden kennst, der selbst an einer psychischen Erkrankung leidet oder litt.
Was sind Deine Gedanken über diese Person?
Würdest Du sie um Antworten bitten wollen?
Falls Du eine Idee über die Beschaffenheit und mögliche Diagnose Deiner seelischen Erkrankung haben solltest,
kannst Du mit einer Selbsthilfegruppe Kontakt aufnehmen.
Betroffene können sich gegenseitig den Rücken stärken und sich gegenseitig Verständnis schenken.
Falls Dein Umfeld Schwierigkeiten mit der Akzeptanz Deiner psychischen Verfassung hätte, dann bieten manche Psychotherapeutinnen und -therapeuten edukative Sitzungen gemeinsam mit dieser angehörigen Person an, sofern die eigentliche Klientin oder der Klient es wünscht.
Ich z.B. handhabe dieses Vorgehen. Im Rahmen der edukativen Sitzung wird niemals über persönliche Details der ursprünglichen Klientinnen und Klienten gesprochen. Es geht rein um die Aufklärung der Sachlage.
Z.B. geht es um die Darstellung der Erkrankung, der Prävalenz oder der Lage von Betroffenen.
Eine der wichtigen Erkenntnisse in meiner Entwicklung war seinerzeit:
ich habe auf das Denken anderer Menschen keinen Einfluss.
Doch Du hast Einfluss auf Deinen eigenen Weg und Du hast das Recht auf Hilfe.
○ Die Therapeutin oder der Therapeut denkt bestimmt schlecht von mir
„Oh Gott! Jetzt denken Sie bestimmt, dass ich übertreibe.“ oder „So etwas Dummes haben Sie bestimmt noch nie gehört, oder?“
Diese und ähnliche Bemerkungen höre ich von Zeit zu Zeit während der Sitzungen.
Menschen denken auf diese oder ähnliche Art und Weise über sich.
Sie schämen sich für ihre Belastung und fühlen sich schuldig.
Schamgefühle verhindern häufig, dass Menschen sich die ihnen gebührende Hilfe holen.
Mein Job als Therapeutin ist nicht, mein Gegenüber zu verurteilen, sondern Unterstützung zu bieten.
Ich sehe den Menschen und die Not, die dieser hat.
Zu denken, was andere über einen denken könnten, ist wie der verzweifelte Versuch, fremde Gedanken zu lesen.
Wir können das einfach nicht.
Es ist die Pflicht und Verantwortung der Therapierenden, Klientinnen und Klienten Mitgefühl, Wohlwollen und Respekt entgegen zu bringen.
Schamgefühle und eigene verurteilende Gedanken dürfen und sollen thematisiert werden.
Therapierende sind in der Lage, damit zu Gunsten ihres Gegenübers und des Therapieverlaufs produktiv umzugehen.
Und: eine Erkrankung der Psyche kann theoretisch jeden Menschen ereilen.
○ Die Therapeutin oder der Therapeut will mich nur total umkrempeln
Dahinter könnte die Befürchtung stecken, dass die Therapeutin oder der Therapeut das Gefühl vermitteln könnte, nicht gut genug zu sein.
Vielleicht hat man Dir wegen Deiner Erkrankung zu verstehen gegeben, dass man mit Dir nicht zufrieden ist.
Therapierende haben sich jedoch einer Bewertung über ihr Gegenüber zu enthalten.
Wir alle, einschließlich meiner Person, haben unseren Charakter und unsere Eigenarten.
Das vereint uns.
Wie ich oben schon schrieb, arbeiten wir auf Augenhöhe zusammen.
Als Therapeutin habe ich natürlich Ideen, eine Struktur und gebe Impulse.
Doch wir stimmen zusammen ab, wie dies durchgeführt werden kann.
Nicht nur die psychische Erkrankung sondern auch der Alltag eines Menschen entscheidet über die Machbarkeit von Interventionen.
Die Meinung und die Gedanken meines jeweiligen Gegenübers haben für mich Wert und sind wichtig in der Zusammenarbeit.
Ich wiederhole mich: Du hast das Recht auf Hilfe und Verständnis.
Therapie ist eine Zusammenarbeit, die auf Gegenseitigkeit beruht.
Eigene Impulse und Optimierungsvorschläge seitens meiner Klientinnen und Klienten sind durchaus erwünscht und oft ein gutes Zeichen dafür, dass sie sich aktiv mit ihrer Gesundung auseinandersetzen.
Kommt Dir der eine oder andere Gedanke bekannt vor?
Oder ging es Dir ganz anders?
Schreib es mir gerne!